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Hierbleiben… Spuren nach Grafeneck

05.11.2025   |   Autor*in: Matthias Müller-Stehlik

Wie das Theater Die Tonne in Reutlingen Inklusion lebt und Erinnerungskultur neu denkt

Plakat zur Uraufführung des Theaterstücks.
Portrait von Theodor Kynast (Charkow 1904 – Grafeneck 1940): 
Bildarchiv Gedenkstätte Grafeneck – Dokumentationszentrum
Design: schöpfungsfragen.de
Abrufbar auf der offiziellen Projektseite unter folgendem Link:
Downloads – Hierbleiben…Spuren nach Grafeneck

   

Wie kann historisch-politische Bildung so gestaltet werden, dass sie alle erreicht – unabhängig von Lernvoraussetzungen oder Beeinträchtigungen?
Mit dieser Frage starteten wir 2021, nach unserem ersten Fachtag zu inklusiven historisch-politischen Bildungsangeboten, zu einem Austausch auf die Schwäbische Alb – in die Gedenkstätte Grafeneck, Erinnerungs- und Mahnstätte für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen.
Ich war damals neu im Projekt.

Über unseren Austausch mit Thomas Stöckle und Kathrin Bauer von der Gedenkstätte Grafeneck habe ich hier im Blog bereits berichtet – es ging um inklusive Ansätze historisch-politischer Bildung, um Zugänge, Teilhabe und neue Wege des Erinnerns. Doch von einem Aspekt unseres Besuchs habe ich bisher nicht erzählt: von einem Theaterprojekt, auf das ich damals eher zufällig aufmerksam wurde – durch ein Plakat im Dokumentationszentrum, das mich nicht mehr losgelassen hat.
In diesem Blogbeitrag möchte ich nun endlich davon berichten.

Während unseres Rundgangs durch die Gedenkstätte fiel mein Blick auf ein Plakat, das am Eingang des Dokumentationszentrums angebracht war.
Darauf war in Schwarz-Weiß ein junger Mann zu sehen, im Hintergrund ein Keks, über dem Bild stand in großen Buchstaben:
Hierbleiben… Spuren nach Grafeneck“.

 Zunächst dachte ich, es handele sich um eine Ausstellung oder eine künstlerische Installation. Erst später, als ich nachrecherchierte, wurde mir klar, dass dieses Plakat zu einem Theaterprojekt gehörte – einem Stück des inklusiven Ensembles des Theaters Reutlingen Die Tonne.


Der Keks und der letzte Hilferuf

Bei der Führung erfuhren wir mehr über die erschütternde Geschichte hinter der Abbildung.
Der Mann auf dem Plakat war Theodor Kynast, eines der Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen.
Er wurde in der Tötungsanstalt Grafeneck mit Gas ermordet – einer der 10.654 Menschen, die im Jahr 1940 zwischen dem 18. Januar und dem 13. Dezember in Grafeneck, auf der Schwäbischen Alb, getötet wurden, weil sie im NS-Staat als „lebensunwert“ galten.

Seinen Eltern wurde nach der Ermordung ein kleines Paket mit persönlichen Gegenständen zugeschickt. Darin lag ein Keks, in den Kynast mit zittriger Hand das Wort „Mörder“ eingeritzt hatte.
Ein letzter, verzweifelter Hilfeschrei.

Ein stummer Beweis für das an ihm begangene Verbrechen – und zugleich ein Symbol für den Verlust jeglicher Menschenwürde.

Die Geschichte hat mich tief berührt. Als ich später den Trailer des Theaterstücks sah, war ich beeindruckt davon, wie sensibel und kraftvoll das Ensemble diesen Teil der Geschichte aufgreift und in die Gegenwart holt.


Gelebte Inklusion auf der Bühne

Das Theater Die Tonne in Reutlingen arbeitet seit vielen Jahren mit einem inklusiven Ensemble. Menschen mit und ohne Behinderung entwickeln gemeinsam Stücke, recherchieren historische Hintergründe, schreiben Texte und stehen zusammen auf der Bühne.

Bei „Hierbleiben… Spuren nach Grafeneck“ begegnen sich Kunst und Geschichte auf besondere Weise:
Die Schauspieler:innen begeben sich auf Spurensuche, lesen Briefe, sprechen Namen aus, interpretieren Dokumente, tanzen, schweigen – und schaffen damit einen Raum, in dem Erinnerung lebendig wird.

Dabei geht es nicht nur um das Gedenken an die Opfer, sondern auch um die Frage:
Wie erinnern wir heute – und wer darf erzählen?

In diesem gemeinsamen Erzählen liegt die Kraft des Projekts. Es ist Theater, Gedenkakt und gelebte Inklusion zugleich.


Ein Projekt, das nachwirkt

Ich hatte schon länger vor, über dieses Projekt zu schreiben – doch wie das manchmal ist, blieb es bei dem Vorsatz.
Erst kürzlich, bei Recherchen zu einer Veranstaltung, bin ich zufällig wieder darauf gestoßen:
Im Januar 2025 wurde eine Dokumentation über das Theaterprojekt erstmals im WDR-Fernsehen ausgestrahlt.
Die Doku zeigt eindrucksvoll, wie das inklusive Ensemble den gemeinsamen Prozess zum Theaterstück gestaltet – von den ersten Ideen über die Proben bis hin zur Premiere.

In einem Beitrag der Kunsthochschule für Medien Köln kann man mehr über das Filmprojekt erfahren. Zur Dokumentation geht’s hier

Beim Anschauen wurde mir erneut bewusst, wie viel Empathie, Recherche und künstlerische Kraft in diesem Projekt steckt – und wie sehr es Brücken schlägt zwischen Erinnerung, Teilhabe und gelebter Inklusion.


Ausgezeichnete Erinnerungskultur 

Das Stück wurde 2023 beim 3. bundesweiten Theaterwettbewerb zum Thema „Biographien der Opfer der NS-‚Euthanasie‘-Verbrechen“ mit dem 1. Preis in der Kategorie „inklusives Erwachsenen-Theater“ ausgezeichnet.
Gefördert durch das LEADER-Programm Baden-Württemberg, würdigt die Auszeichnung die außergewöhnliche Verbindung von künstlerischer Qualität, gesellschaftlicher Verantwortung und inklusiver Praxis.


Begegnung und Weiterdenken

Unser Besuch in Grafeneck war für mich ein Schlüsselmoment. Er hat mir vor Augen geführt, dass Erinnerungskultur nur dann lebendig bleibt, wenn sie offen, zugänglich und inklusiv gestaltet wird.

Gemeinsam mit Alexander Wicker (Bildungspartner Main-Kinzig) und Wibke Bathe (Volksbund) haben wir damals mit Thomas Stöckle und Kathrin Bauer über die Frage gesprochen, wie historisch-politische Bildung alle Menschen erreichen kann – unabhängig von ihren Voraussetzungen.
Darüber habe ich später im Blogbeitrag „Abgucken ausdrücklich erlaubt“ berichtet.

Theaterprojekte wie das der Tonne zeigen, dass inklusive Bildung weit über den Lernraum hinausgeht:
Sie geschieht auf der Bühne, in Begegnungen, in Emotionen – dort, wo Erinnerung erfahrbar wird.


Bildung für alle – aber auch für jede*n?

Am 20. November 2025 greifen wir diese Fragen auf unserem nächsten Online-Fachtag „Bildung für alle – aber auch für jede*n?“ wieder auf.
Gemeinsam mit Vertreter:innen der Gedenkstätten Grafeneck und Brandenburg an der Havel, mit Fachverbänden und Bildungsträgern wollen wir den aktuellen Stand inklusiver historisch-politischer Bildung in Deutschland diskutieren.


Anmeldung & Kontakt

Die Teilnahme ist kostenfrei – eine Anmeldung ist erforderlich. Weitere Informationen & Anmeldung


Ansprechpartner:

  • , Tel. 06051/91679-12
  • , Tel. 06051/91679-24

In einem weiteren Blogbeitrag werde ich exklusiv über den Fachtag berichten.

 

Kategorie: Menschen;Erfahrungsaustausch;Ankuendigung;Veranstaltungen
Schlagwörter: Inklusive_Lernkultur  |    |  Inklusive_Erinnerungskultur  |    |  Theater_Die_Tonne  |    |  Gedenkstaette_Grafeneck  |    |  Online-Fachtag  |    |  Inklusion_an_hessischen_vhs 





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